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Artikel

Spielt Geopolitik für langfristige Investoren eine Rolle?

Von Alexandra Tischendorf | 15. Oktober 2025

Können Investoren wie Warren Buffett geopolitische Risiken ignorieren – da politische Prognosen oft nur teure Ablenkung sind? Oder ist diesmal alles anders?
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Viele Jahre lang wurde Geopolitik von Investoren kaum mehr als Hintergrundrauschen betrachtet. Marktteilnehmer erkannten sie zwar als Faktor in den Schlagzeilen an, betrachteten sie jedoch nicht als etwas, das eine grundlegende Änderung der Portfoliostrategie erfordert. Diese Annahme gilt heute nicht mehr. Geopolitik ist inzwischen zu einer zentralen Kraft geworden, die wirtschaftliche Entwicklungen, Unternehmensstrategien und Anlageerträge prägt. Die eigentliche Frage für Investoren lautet nicht, ob Geopolitik eine Rolle spielt, sondern wie man darauf reagieren sollte.

Theoretisch ist Geopolitik ein klassisches systemisches Risiko: Die Auswirkungen eines Weltkriegs, einer Finanzkrise oder einer Pandemie lassen sich kaum diversifizieren. Für das Tragen solcher Risiken erhalten Investoren eine Risikoprämie. Zudem zeigen Erfahrungen, dass sich Märkte nach geopolitischen Schocks oft schnell erholen. Studien zu Renditen während grosser Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg haben kein einheitliches Muster ergeben: manchmal brachen die Märkte stark ein, manchmal legten sie zu, und oft waren die langfristigen Auswirkungen minimal. Das gab langfristigen Investoren die Zuversicht, dass „aussitzen“ die beste Strategie sei.

Doch diesmal könnte es anders sein. Die anhaltende Rivalität zwischen den USA und China, der Rückgang der Globalisierung und die Politisierung von Handel und Kapitalflüssen deuten eher auf eine strukturelle Veränderung hin als auf eine vorübergehende Störung. Handelsvolumina stagnieren, ausländische Direktinvestitionen sind deutlich zurückgegangen, und globale Lieferketten – das Rückgrat der Gewinne multinationaler Konzerne – geraten zunehmend unter Druck. Diese Trends deuten auf eine Welt hin, in der Kapitalströme und Vermögensbewertungen dauerhaft neu geformt werden könnten.

Zwei Denkschemata helfen, die laufenden geopolitischen Veränderungen einzuordnen. Das erste ist die Grossmacht-Rivalität, in der die Welt von einem Wettbewerb zwischen einer etablierten Supermacht (den USA) und einer aufstrebenden (China) geprägt ist. In diesem Szenario bleibt die US-Hegemonie intakt, Europa ordnet sich weitgehend den USA unter, während Russland eine Nebenrolle an der Seite Chinas spielt. Das zweite ist die Grossmacht-Kollusion, in der sich die USA schrittweise aus ihrer Rolle als Garant einer regelbasierten Ordnung zurückziehen. Alte Allianzen verlieren an Bedeutung, Einflusssphären verfestigen sich, und Europa findet sich zwischen konkurrierenden Mächten gefangen. Beide Sichtweisen haben tiefgreifende Implikationen. Ob die Zukunft von Rivalität oder Rückzug geprägt ist – für Investoren bedeutet das grössere Unsicherheit, häufigere Marktturbulenzen und eine Welt, in der Stabilität nicht mehr selbstverständlich ist.

Für Investoren werden die kommenden Jahre voraussichtlich durch stärkere Volatilität, stärkeren Inflationsdruck und einen größeren Bedarf an aktivem Management gekennzeichnet sein. Szenarioanalysen werden unverzichtbar, ebenso eine breitere Diversifikation über Regionen und Anlageklassen hinweg. Geopolitische Absicherungen durch intelligente Downside-Strategien sollten Teil des Werkzeugkastens werden, und das US-Exposure verdient eine genauere Prüfung. Das bedeutet nicht zwingend den Verkauf von US-Anlagen, wohl aber eine bewusstere Steuerung des Dollar-Risikos.

Die zentrale Botschaft ist klar: Geopolitik ist kein externer Schock mehr, sondern ein integraler Bestandteil der Marktdynamik. Wer widerstandsfähige Portfolios aufbauen will, muss diese Realität anerkennen und aktiv einbeziehen. Alte Annahmen – etwa über die Stabilität des US-Dollars oder die Unabhängigkeit globaler Lieferketten – sind nicht mehr selbstverständlich. Die Aufgabe besteht nicht darin, auf jede Schlagzeile zu reagieren, sondern robuste Strukturen zu schaffen, die in einer fragmentierten Welt Bestand haben.

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