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Artikel | Benefits Perspectives

Abgesenkte Beitragsgarantien: (k)eine Option?

Von Dr. Michael Karst und Dr. Johannes Heiniz | 22. September 2022

Aktuell finden sich in der bAV-Gestaltungspraxis häufig Modelle mit Garantieniveaus zwischen 60 und 90 Prozent. Was ist rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll?
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Herr Dr. Karst, Herr Dr. Heiniz, warum wird die bAV mit abgesenkten Garantien so kontrovers diskutiert?

Dr. Michael Karst, Head of Legal, Tax, Accounting, WTW: Mit der reinen Beitragszusage wurde 2018 erstmals eine Zusageform ohne feststehende Leistungsverpflichtung für die betriebliche Altersversorgung (bAV) in Deutschland zugelassen. Seitdem wird oft gefragt, wieviel „Garantie“ bei den beitragsorientierten Leistungszusagen gesetzlich erforderlich ist – auch mit Blick auf das langanhaltende Niedrigzinsumfeld und den äußerst geringen Höchstrechnungszins für Lebensversicherungen. Gerade bei versicherungsbasierten Versorgungszusagen sind neue Tarife mit abgesenkten Garantien in den letzten beiden Jahren zum Regelfall geworden. Häufig werden z. B. 80 Prozent der Beiträge garantiert, weil eine Beitragsgarantie als Mindestleistung im aktuellen Kapitalmarktumfeld aus regulatorischen Gründen nicht mehr abbildbar ist.

Die bisherige arbeitsrechtliche Diskussion war jedoch aus Zeiten geprägt, in denen die beitragsorientierte Leistungszusage (BoLZ) ins Betriebsrentengesetz aufgenommen wurde. Sie wird oft in einem historisch-chronologischen Zusammenhang mit der Mindestleistung im Rahmen der Beitragszusage mit Mindestleistung gesetzt. Dieser bisherige Auslegungsansatz ist u. E. jedoch mittlerweile überholt.

Was ist jetzt anders?

Dr. Johannes Heiniz, Head of General Consulting Germany, WTW: Die Möglichkeit, ein Garantieniveau unterhalb der Beitragssummen zu verankern, erweitert das Gestaltungsspektrum betrieblicher Altersversorgung signifikant. Sie eröffnet die Chance, neue Wachstumspfade für die bAV einzuschlagen, sei es auf Basis von neueren Lebensversicherungstarifen, in fondsbasierten Zusagen oder in der reinen Beitragszusage.

Die Erweiterung des Gestaltungsspektrums ist dringend erforderlich, denn die Herausforderungen der Sicherung von Alterseinkommen in Deutschland ist enorm. Zusätzliche Vorsorge fürs Alter ist und wird angesichts des stetig sinkenden Absicherungsniveaus der gesetzlichen Rente wichtiger denn je. Dies ist inzwischen auch den jüngeren Generationen bewusst – auch sie setzt zunehmend auf die bAV. Aber auch Unternehmen hilft die bAV: sowohl für die Mitarbeitergewinnung als auch die Mitarbeiterbindung. Beides sind entscheidende Faktoren in Zeiten enger Arbeitsmärkte.

Gleichzeitig ist mittlerweile mehrheitlich verstanden, dass die Zeiten von Garantieniveaus alter Tage (ähnlich wie in der Privatvorsorge) auch in der bAV vorüber sind. Beide Interessen, der Bedarf an Vorsorge auf Arbeitnehmerseite und die Anforderung nach Planbarkeit für Unternehmen, lassen sich in modernen Pensionsplangestaltungen in Einklang bringen.

Wie können Unternehmen eine werthaltige bAV anbieten?

Dr. Johannes Heiniz: Der Schlüssel liegt in der direkten Kopplung der bAV an die Kapitalmärkte und in intelligenten Plankonzepten. Durch die Teilhabe an der Entwicklung der Kapitalmärkte, ob versicherungs- oder fondsbasiert, kann ein strukturierter Aufbau von Altersvorsorgekapital sichergestellt werden. Gleichzeitig muss die zugesagte Rendite nicht durch die Unternehmen selbst aufgebracht werden. Des Weiteren kann das zugesagte Garantieniveau in Abhängigkeit der Risikotragfähigkeitsbereitschaft justiert werden.

Entscheidend hierbei ist, dass Sicherheit nicht ausschließlich auf Garantien basieren muss. Moderne Pensionspläne nutzen gezielt die Vorteile der bAV als kollektive Vorsorgeform. Durch intelligente Puffer- und Renditeverteilungskonzepte wird Absicherung auf Einzelpersonenebene auch abseits „harter“ Garantien gewährleistet, z.B. in Form einer Absicherung von Wertverlusten kurz vor Renteneintritt.

Manche Stimmen halten weiterhin an einer vollständigen Beitragsgarantie fest...

Dr. Michael Karst: Diese Frage wird in der Tat im Fachschrifttum nach wie vor nicht einhellig beantwortet, die neuere Literatur neigt aber der u. E. zutreffenden Auffassung zu, dass arbeitsrechtlich eine beitragsorientierte Leistungszusage auch mit einer Mindestleistung unterhalb der Beitragssumme zulässig ist. Diese Auffassung beruht auf einer systematischen Auslegung des Betriebsrentengesetzes auf Basis neuerer Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Also sind abgesenkte Garantien rechtlich zulässig?

Dr. Michael Karst: Nach den Ergebnissen unserer arbeitsrechtlichen Recherchen sind solche abgesenkten Garantien auf Basis des geltenden Betriebsrentenrechts zulässig. Ausführlich haben wir die Ergebnisse unserer Recherche in dem Fachartikel „Garantiefragen bei beitragsorientierten Leistungszusagen“ dargelegt [Anm. d. Red.: siehe Download-Option].

In unserem Fachartikel haben wir uns v. a. der bislang kaum diskutierten arbeitsrechtlichen Frage gewidmet, ob und ggf. welche rechtlichen Rahmenbedingungen es für die Höhe etwaiger Mindestleistungsniveaus bei der BoLZ gibt. Gut vertretbar für BoLZ-Gestaltungen dürfte nach den Ergebnissen unserer Recherche ein Garantieniveau von 75 Prozent der Beiträge oder höher sein, äußerstenfalls von 60 Prozent. Dafür gibt es gute Argumente, jedoch noch keine höchstrichterliche Entscheidung, die sich zu diesen Grenzfragen festlegt. Insofern verbleibt ein gewisses arbeitsrechtliches Risiko, dass der Arbeitgeber als Mindestleistung die Beitragssumme gewähren muss, wenn diese im Versorgungsfall durch die pensionsplangemäße Kapitalanlage nicht erreicht werden sollte. Ökonomisch wird dieses arbeitsrechtliche Risiko maßgeblich dadurch beeinflusst, wie die pensionsplangemäße Kapitalanlage ausgestaltet ist und welche Wertsicherungsmaßnahmen gerade für rentennahe Mitarbeitende konzeptionell vorgesehen sind.

Was halten Unternehmen und Mitarbeitende von einer bAV mit abgesenkter Garantie?

Dr. Johannes Heiniz: Mitarbeitende stehen dem Thema „Garantien“ zunehmend offen gegenüber. Was in der bAV derzeit als Novum diskutiert wird, ist in der Privatvorsorge schon längst Usus. Für Mitarbeitende steht vielmehr im Fokus, dass sich der Arbeitgeber um das Thema Vorsorge aktiv kümmert. Hierbei bringen Mitarbeitende ihren Arbeitgebern ein hohes Maß an Vertrauen entgegen. Sie setzen auf die Kompetenz und die „Marktmacht“ des Arbeitgebers ein attraktives Vorsorgemodell zur Verfügung zu stellen.

Für Unternehmen bieten abgesenkte Garantie die Möglichkeit die Risikoposition aktiv zu justieren und gleichzeitig attraktive Vorsorge für die Mitarbeitenden zu bieten. Welches Garantieniveau das „richtige“ ist, ist unternehmensindividuell zu bestimmen und hängt maßgeblich von der Struktur des Pensionsplans ab. Ökonomisch zielen solche Pensionsplandesigns darauf ab, aus Beiträgen und den aus deren Anlage erzielten Erträgen nach Kosten ein attraktives Vorsorgekapital zu erwirtschaften, das dann für die Versorgung zur Verfügung steht.

Können Gestaltungen mit abgesenkten Garantien die Verbreitung der bAV fördern?

Dr. Michael Karst: Aus unserer Sicht: ja. Risikominimierende Gestaltungsmöglichkeiten erleichtern es Arbeitgebern, bAV-Zusagen zu erteilen und beizubehalten. Dementsprechend ist auch die Begrenzungsmöglichkeit der Mindestleistungsverpflichtung ein solches verbreitungsförderndes Element.

Zuletzt hat in diesem Kontext das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Schreiben an den GDV vom 31.8.2022 für die BoLZ erfreulicherweise klargestellt, dass fondsgebundene Versicherungstarife mit abgesenkten Garantien auch als kongruente Rückdeckungsversicherungen im Durchführungsweg Unterstützungskasse aus steuerlicher Sicht anerkannt sind. Welche Mindestleistung in solchen Versicherungstarifen vorzusehen ist, hat das BMF aus steuerlicher Sicht nicht festgelegt. Das spricht dafür, dass aus Sicht des BMF solche Tarife mit abgesenkten Garantien rechtlich zulässig sind und dass aus steuerlicher Sicht keine eigenständige Mindestleistungsdefinition gelten soll, sondern jede (arbeitsrechtlich) zulässige Mindestleistung bei Versicherungstarifen auch steuerlich anerkannt sein soll, soweit sie die Anforderungen an kongruente Rückdeckungsversicherungen i.S.v. § 4d Einkommensteuergesetz (EStG) sowie die im aktuellen BMF-Schreiben aufgeführten Anforderungen erfüllen.

Wie lautet ihr Fazit – sollten Unternehmen auf bAV mit abgesenkten Garantien setzen oder nicht?

Dr. Michael Karst: Es lohnt sich für Unternehmen und Mitarbeitende, das Thema abgesenkte Garantien unvoreingenommen zu beurteilen. Die Frage, welche Garantien gewährt werden, gehört ohnehin zu einem guten Risikomanagement bei jeder Pensionsplangestaltung.

Für die Mitarbeitenden besteht der Vorteil abgesenkter Garantieniveaus darin, dass damit bei gut aufgesetzten Kapitalanlagekonzepten höhere Renditechancen bestehen als bei klassischen Garantietarifen. Zudem ist die Risikobegrenzung für Unternehmen ein Aspekt, welcher der Verbreitung der bAV dient und damit die Chance für Mitarbeitende erhöht, eine attraktive bAV angeboten zu bekommen.

Dr. Johannes Heiniz: Ausschlaggebend für den Erfolg solcher Konzepte ist allerdings auch, dass die Mitarbeitenden durch eine gute Kommunikation der Systeme „abgeholt“ werden. Dazu gehören auch Maßnahmen der Financial Education, welche die Mitarbeitenden befähigen, die Risiken und Chancen solcher Systeme zu verstehen und – gerade für ihre Entgeltumwandlung – bewusste Teilnahmeentscheidungen treffen zu können.

Autoren

Managing Director Retirement, Head of Legal/Tax/Accounting, Head of Funding Vehicles Germany

Senior Director Retirement, Head of General Consulting Germany

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