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Artikel | Benefits Perspectives

Rückwirkende Klarstellung durch Tarifvertrag

Unklare Rechtslage begründet kein schutzwürdiges Vertrauen

Von Dr. Rekka Schubert-Eib | 24. Oktober 2025

Das BAG erlaubt rückwirkende Klarstellungen zur Beseitigung unklarer Rechtslagen – ohne Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz.
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Krisentarifvertrag mit Nachteilen für die Mitarbeitenden

In seiner Entscheidung vom 26. November 2024 (3 AZR 28/24) hat sich der dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) mit der Aussetzung von Beiträgen zur betrieblichen Altersversorgung (Absenkung künftiger Zuwächse) durch einen Krisentarifvertrag befasst.

Gegenstand der Klage war ein zeitlich befristeter Tarifvertrag in der Luftfahrtbranche über Maßnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise und zur Absicherung des Kabinenpersonals („TV Krise“). Dieser sah einerseits eine Beschäftigungssicherung vor, andererseits aber auch ein Bündel von Maßnahmen zur signifikanten Reduzierung der Personalkosten für die Dauer der Krise. Dieses beinhaltete neben „Nullrunden“ unter anderem auch die Aussetzung der Gewährung der nach dem Tarifvertrag bAV zugesagten bAV-Beiträge.

Geltungsbereich einer Rückausnahmeklausel

Für die Aussetzung der Gewährung der bAV-Beiträge war jedoch eine Rückausnahme vereinbart, nämlich die Fortsetzung der Beitragsgewährung für diejenigen Mitarbeitenden, die innerhalb der vom Unternehmen gesetzten Annahmefrist des Freiwilligenprogramms einen Aufhebungsvertrag abschließen oder aufgrund der Freiwilligenprogramme in die Versorgung ausscheiden.

Der Kläger nahm erst an einem späteren (weiteren) Freiwilligenprogramm teil und schloss einen Aufhebungsvertrag ab. Dabei beanspruchte er für sich die zitierte bAV-Rückausnahme-Klausel. Die Tarifvertragsparteien stellten mittels Klarstellungsvereinbarung daraufhin rückwirkend klar, dass der Geltungsbereich der Rückausnahmeregelung nur das erste Freiwilligenprogramm umfasse.

Mit der Klage macht der Kläger die Weitergewährung von bAV-Beiträgen auf Grundlage der Rückausnahme-Klausel geltend, da die tarifvertragliche Klarstellungsvereinbarung unzulässig zurückwirke.

Das BAG hat das Urteil des Berufsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses mit materiellen Prüfungsvorgaben zurückverwiesen. Dabei hat das BAG die Weitergewährung von bAV-Beiträgen differenziert nach verschiedenen Anspruchsgrundlagen betrachtet.

Kein Anspruch aus der Rückausnahmeklausel

Ein Anspruch auf (Weiter-)Gewährung der bAV-Beiträge unter Anwendung der tariflichen Regelung zur Rückausnahme besteht für den Kläger nicht. Die Klarstellung zum Geltungsbereich konnte rückwirkend vereinbart werden.

Normative Wirkung der Klarstellungsvereinbarung

Ob eine zwischen Tarifvertragsparteien geschlossene Vereinbarung Regelungs- bzw. Rechtsqualität hat, hängt neben der Notwendigkeit der Erfüllung des Schriftformerfordernisses (§ 1 Abs. 2 TVG iVm. §§ 126, 126a BGB) davon ab, ob darin der Wille der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt. Dies ist im Wege der Auslegung nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln zu ermitteln.

Nach Auslegung der Klarstellungsvereinbarung war dies zu bejahen. Denn auch wenn die Tarifvertragsparteien mit der Klarstellungsvereinbarung „nur“ etwas klarstellen wollten, wollten sie – nach Auffassung des BAG – doch erkennbar diese Folgen auch „vereinbaren“, regeln und für die Normunterworfenen normativ zur Geltung bringen.

Zulässigkeit der Rückwirkung

Nach dem BAG verstößt eine rückwirkende Regelung nicht gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Vertrauensgrundsatz, wenn es an einem schutzwürdigen Vertrauen in den Fortbestand der begünstigenden Rechtslage fehlt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die rückwirkende Norm der Beseitigung einer unklaren Rechtslage dient. Führt eine tarifliche Norm zur rückwirkenden Beseitigung einer unklaren Rechtslage, wird dadurch nicht in schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand einer etwaig begünstigenden Rechtslage eingegriffen.

In diesem Sinne war die Geltung der bAV-Rückausnahme-Klausel für das zweite Freiwilligenprogramm unklar. Die normunterworfenen Arbeitnehmer konnten ihr nicht ohne erhebliche Unklarheit entnehmen, dass die Rückausnahme auch für weitere Freiwilligenprogramme gelten sollte.

Aber: materielle Prüfung des Krisentarifvertrags erforderlich

Nach dem BAG ist jedoch die materielle Wirksamkeit der tariflichen Regelung zur temporären Aussetzung der bAV-Beiträge im „TV Krise“ selbst noch zu prüfen. Wäre diese unwirksam, bestünde ein  Anspruch auf (Weiter-)Gewährung der bAV-Beiträge. . Für dahingehende weitere Feststellungen hat das BAG an das Berufsgericht zurückverwiesen und die hierfür erforderlichen materiellen Prüfungskriterien vorgegeben.

Bei der Normsetzung sind Tarifvertragsparteien an die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gebunden. Für eine Verschlechterung der Versorgungsrechte bedürfen sie legitimierender Gründe, deren Gewicht von den Nachteilen abhängt, die den Versorgungsberechtigten durch die Änderung der Versorgungsregelungen entstehen. Für nicht schwerwiegende Eingriffe reicht jeder sachliche Grund aus.

Zusätzlich ist zu prüfen, ob es sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung der einzelnen Mitarbeitergruppen in den verschiedenen Freiwilligenprogrammen gab.

Autor


Director Retirement | Head of Legal Reutlingen

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