Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss v. 28.07.2023 – 2 BvL 22/17) hat die Vorlage des Finanzgerichts Köln (FG Köln, Beschluss v. 12.10.2017 – 10 K 977/17) für unzulässig erklärt. Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob die Vorschrift des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG in der im Streitjahr 2015 geltenden Fassung insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als zur Ermittlung der Höhe einer Pensionsrückstellung in der Steuerbilanz ein Rechnungszinsfuß in Höhe von 6 Prozent anzusetzen ist.
Durch die Bildung von Pensionsrückstellungen wird den Verpflichtungen eines Unternehmens aus der Erteilung von Pensionszusagen an Arbeitnehmer Rechnung getragen. Für die Höhe der in einem Veranlagungszeitraum maßgeblichen Pensionsrückstellung in der Steuerbilanz bzw. für die Höhe, der von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abzugsfähigen Aufwendungen ist der zugrunde gelegte Rechnungszinsfuß, der für den Effekt der Abzinsung maßgeblich ist, von wesentlicher Bedeutung. Je höher dieser ist, desto niedriger ist die steuerrechtlich zulässige Pensionsrückstellung. Nach § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG ist zur Ermittlung des Teilwerts einer Pensionsverpflichtung in der Steuerbilanz unter anderem ein seit 1981 der Höhe nach unveränderter, starrer Rechnungszinsfuß in Höhe von 6 Prozent anzuwenden.
Die steuerrechtliche Vorschrift unterscheidet sich von den Vorgaben für die Handelsbilanz nach nationalen Normen, deren Bewertungsvorschrift gem. § 253 Abs. 2 HGB keinen starren, sondern einen dynamischen, "atmenden" Rechnungszinsfuß vorsieht. Dieser (Durchschnitts-) Zinssatz, den die Deutsche Bundesbank aus dem durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Geschäftsjahre bzw. seit dem Jahr 2016 der vergangenen zehn Geschäftsjahre mit einer angenommenen Restlaufzeit von 15 Jahren ermittelt, betrug im hier gegenständlichen Streitjahr (2015) 3,89 Prozent; zum 31.12.2022 lag der siebenjährige Durchschnittszinssatz bei 1,44 Prozent, der zehnjährige Durchschnittszinssatz bei 1,78 Prozent.
Mit Beschluss v. 12.10.2017 – 10 K 977/17 hatte das Vorlagegericht (FG Köln) die zugrundeliegende Finanzstreitsache ausgesetzt und dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die Frage vorgelegt, ob § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG in der im Streitjahr 2015 geltenden Fassung mit der Verfassung vereinbar ist. Das FG hielt die Vorschrift mit dem Rechnungszinsfuß von 6 Prozent für verfassungswidrig. Als Begründung sieht das FG die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG unter zwei Gesichtspunkten:
Ob und inwieweit § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG auch unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Art. 14 GG verfassungswidrig ist, lässt das Vorlagengericht offen. Zum einen hängt die Frage, ob eine Übermaßbesteuerung vorliegt, dermaßen von den Einzelheiten des jeweiligen Falles ab, dass dem nur durch Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall abgeholfen werden kann. Zum anderen reicht die dargelegte Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG nach Ansicht des FG Köln aus, um die Vorlage zu rechtfertigen.
Das BVerfG hat die Vorlage des FG Köln per Beschluss vom 28.07.2023 als unzulässig erklärt, weil sie nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG genügt.
Hinsichtlich des ersten Vergleichspaares ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinreichend dargetan. Die Bildung des Vergleichspaares ist so nicht nachvollziehbar. Es erschließt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres, warum Unternehmen, die Pensionsrückstellungen bilden, mit all jenen Unter-nehmen vergleichbar sein sollen, „die sich an das Realisationsprinzip halten müssen“. Ob eine Rückstellung steuerrechtlich beachtlich ist, ist eine Entscheidung über das Wann der Besteuerung. Indem der Gesetzgeber hierbei auf den Barwert abstellt und für seine Berechnung einen bestimmten Rechnungszinsfuß vorgibt, beschränkt er die zeitlich vorgelagerte Berücksichtigung des späteren gewinnmindernden Aufwands und bestimmt damit, wann welcher Teil dieses Aufwands geltend gemacht werden kann. Es erschließt sich vor dem Hintergrund der BVerfG-Entscheidung zur Bildung von Jubiläumsrückstellungen (BVerfG v. 12.05.2009 – 2 BvL 1/00) auch nicht die Annahme des Vorlagegerichts, dass es „zu einer Ungleichbehandlung im Hinblick auf das im gesamten übrigen Bilanzsteuerrecht geltende Realisationsprinzip“ komme.
Nicht hinreichend begründet ist die Vorlage auch hinsichtlich des zweiten Vergleichspaares, für welches das Vorlagegericht eine nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem erkennt. Das BVerfG verweist dazu auf seine ständige Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz, dass sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen im Sinne eines stufenlosen Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber ergeben, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Im Bereich des Steuerrechts besteht zwar ein – gegenüber einer reinen Willkürprüfung – strengerer Prüfungsmaßstab hinsichtlich der belastungsgleichen Ausgestaltung der Steuer; jedoch erkennt das BVerfG hierbei einen Typisierungsspielraum des Gesetzgebers an, der seinerseits durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit begrenzt wird.
Die Vorlage legt eine Verletzung von Art. 3 Abs.1 GG nicht entsprechend den vom BVerfG aufgezeigten Maßstäben dar. Den Vorwurf der Willkür gegen § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG erhebt das Vorlagegericht allein insoweit, als sich kein einleuchtender Grund (mehr) für den Rechnungszinsfuß von 6 Prozent finde. Bereits den Bezugspunkt für eine realitätsgerechte Typisierung legt es jedoch nicht den Anforderungen entsprechend dar. Da § 6a EStG eine zeitlich gestreckte steuerliche Geltendmachung der Aufwendungen zur Erfüllung von Pensionszusagen bezwecke, justiert der kalkulatorische Rechnungszinssatz den Steuerstundungseffekt aus der vorwegnehmenden Berücksichtigung künftiger Vermögensminderungen. Hieraus ergibt sich noch nicht, dass dieser Steuerstundungseffekt die gleiche Höhe haben müsste wie der Zinsvorteil, der durch die Steuerstundung entsteht. Auch wenn man mit dem Vorlagegericht davon ausgeht, dass der Rechnungszinsfuß eine reale Marktgröße abbilden muss, wäre die Vorlage, so das BVerfG, nicht ausreichend begründet.
Die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BVerfG (1 BvR 2237/14 u. 1 BvR 2422/17 v. 08.07.2022), dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig war, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 Prozent zugrunde gelegt worden ist, sagt für die hier verfahrensgegenständliche Frage nichts aus.
Das Vorlagegericht könnte nachbessern, so dass die erneute Vorlage den Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG genügt. Das FG Köln kann § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG jedoch nicht selbständig für verfassungswidrig erklären (Zuständigkeit nur beim BVerfG; vgl. Art. 100 Abs. 1 GG). Dementsprechend muss das FG Köln in der Sache entscheiden. Eine Entscheidung auf Basis des geltenden § 6a EStG müsste dann dazu führen, dass die Klage unbegründet ist. Im Falle einer zulässigen Revision bestünde dann auch die Möglichkeit, dass der BFH die Frage erneut dem BVerfG vorlegt. Für den Fall, dass andere Steuerpflichtige Einspruch gegen Steuerbescheide mit Bezug auf das Verfahren beim BVerfG eingelegt haben, dürfte mit dem Beschluss des BVerfG die Verfahrensruhe
gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO beendet sein.