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Artikel | Benefits Perspectives

Haftung für bAV bei Betriebsübernahme aus Insolvenz (BAG)

BAG vom 26.1.2001 – 3 AZR 139/17 und 3 AZR 878/16

Von Sebastian Löschhorn, LL.M. | 15. November 2021

Für vor Insolvenzeröffnung entstandene bAV-Ansprüche oder -Anwartschaften, für die keine PSV-Eintrittspflicht besteht, haftet bei einer Betriebsveräußerung in der Insolvenz auch nicht der Erwerber.
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Gegenstand der Urteile (3 AZR 139/17 und 3 AZR 878/16) war die Frage, in welchem Umfang die beklagte Arbeitgeberin den Klägern unter Berücksichtigung eines Betriebsübergangs in der Insolvenz Altersrente zu gewähren hat. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte die Verfahren im Jahr 2018 zunächst ausgesetzt und den EuGH mit Beschlüssen vom 16.10.2018 (3 AZR 139/17 (A) und 3 AZR 878/16 (A)) um Beantwortung verschiedener für das Verfahren relevanter Fragen ersucht, u.a. ob eine eingeschränkte Haftung des Betriebserwerbers bei Betriebsübergängen in der Insolvenz mit der Richtlinie 2001/23/EG (Betriebsübergang-Richtlinie) zu vereinbaren ist und falls ja, ob hierbei der sich aus der Richtlinie 2008/94/EG ergebende Mindestschutz von Arbeitnehmern bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zum Tragen kommt. Nachdem der EuGH die Fragen des BAG mit Urteil vom 9.9.2020 (C-674/18 und C-675/18 – TMD Friction) beantwortet hat, konnte das BAG nunmehr seine Urteile in den Verfahren fällen und hat darin folgende Feststellungen getroffen:

Betriebsübergangsgrundsätze gelten in der Insolvenz nur eingeschränkt

Die Insolvenzordnung sieht für die Abwicklung der Ansprüche, die in der Zeit vor Insolvenzeröffnung (InsO) bereits entstanden sind, ein Verfahren vor, das von dem Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung beherrscht ist. Die Insolvenzordnung hält daher besondere Verteilungsgrundsätze bereit, welche als Spezialregelungen Vorrang haben vor § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Bei einer Betriebsveräußerung in der Insolvenz gilt § 613a BGB daher nur eingeschränkt. Durch diese Einschränkung werden nach Ansicht des BAG Betriebsübergänge in der Insolvenz erleichtert, was auch dem sozialstaatlichen Ziel diene, Arbeitsplätze zu erhalten.

Die besonderen insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätze und damit auch die insolvenzrechtliche Haftungsbeschränkung des Betriebserwerbers gelten aber nur für die sog. Insolvenzforderungen. Hierbei handelt es sich um die Forderungen, die bis zur Insolvenzeröffnung entstanden und von den Gläubigern zur Insolvenztabelle anzumelden sind. Masseverbindlichkeiten, also Verbindlichkeiten, die nach Insolvenzeintritt entstanden sind, sind dagegen ohne irgendwelche Beschränkungen vorweg zu befriedigen. Für die Einordnung des Anspruchs auf Zahlung einer Betriebsrente als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit kommt es darauf an, in welchem Umfang der Anspruch auf Betriebszugehörigkeitszeiten vor oder nach Insolvenzeröffnung beruht.

Der Betriebserwerber haftet nur für den nach Insolvenzeröffnung erdienten Teil der Versorgung, welcher ermittelt wird, indem die auf den Eintritt des Versorgungsfalls berechnete Versorgungsleistung in einem zweiten Schritt zeitanteilig auf die vor und nach Insolvenzeröffnung erbrachte Betriebszugehörigkeit aufgeteilt wird.

Keine Haftung für erdiente Dynamik und noch nicht gesetzlich unverfallbare Anwartschaften

Die Haftung des Betriebserwerbers erfasst damit nicht die sich aufgrund des Endgehaltsbezugs einer Zusage bei Insolvenzeröffnung bereits erdiente Dynamik. Eine solche dienstzeitunabhängige Dynamik ist bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits im Umfang der bis dahin geleisteten Betriebszugehörigkeit anteilig erdient, da der Arbeitnehmer insoweit bereits die von ihm geforderte Gegenleistung – seine Arbeitsleistung – erbracht hat.

Darüber hinaus haftet der Erwerber auch nicht für eine bei Insolvenzeröffnung noch nicht gesetzlich unverfallbare Anwartschaft, da diese Anwartschaft ebenfalls dem Zeitraum vor Insolvenzeröffnung zuzuordnen ist.

Anwartschaften bzw. Anwartschaftsteile ohne PSV-Schutz als Insolvenzforderung anmelden

Hieran ändert auch nichts, dass der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) nur für bei Insolvenzeröffnung bereits gesetzlich unverfallbare Anwartschaften haftet und für diese auch nur unter Berücksichtigung des Festschreibeeffekts und der Veränderungssperre einzutreten hat (vgl. § 7 Abs. 2a S. 4 Betriebsrentengesetz – BetrAVG), ein Ausgleich für eine bei Insolvenzeröffnung bereits erdiente Dynamik durch den PSV also nicht erfolgt.

Die nicht PSV-geschützte Anwartschaft bzw. die wertmäßige Differenz kann der Arbeitnehmer als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden. Dies hat zur Folge, dass der auf diese Forderung entfallende Anteil der Insolvenzmasse seitens des Insolvenzverwalters zu hinterlegen ist.

Seine diesbezügliche frühere Rechtsprechung, dass sich Versorgungsanwartschaften im Insolvenzfall in einen fälligen Zahlungsanspruch verwandeln, gibt der 3. Senat des BAG – zumindest soweit es nicht den sich aus § 9 Abs. 2 S. 3 BetrAVG ergebenden gesetzlichen Zahlungsanspruch des PSV betrifft – ausdrücklich auf.

EU-Recht steht der eingeschränkten Haftung des Erwerbers nicht entgegen

Es bestehen auch keine unionsrechtlichen Bedenken gegen eine einschränkende Auslegung von § 613a BGB in Insolvenzfällen. Dies schlussfolgert das BAG aus dem Urteil des EuGH vom 9.9.2020, welches u.a. Ausführungen zu den Anforderungen des unionsrechtlichen Mindestschutzes von Altersleistungen einer betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung enthält. Diesen Mindestschutz – bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers muss ein Arbeitnehmer mindestens 50 Prozent seiner erworbenen Altersleistungen erhalten; zudem darf die Kürzung der Altersleistungen nicht dazu führen, dass der Arbeitnehmer unter die Armutsgefährdungsschwelle fällt – sieht das BAG nämlich in jeder Konstellation durch einen entsprechenden unmittelbaren Anspruch gegen den PSV als gewährleistet an. Ob der PSV diesen Mindestschutz gewähren muss, lässt sich aber in der Regel erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und nach Eintritt des Versorgungsfalls feststellen.

Fazit

Die Entscheidungen bestätigen die bisherige Rechtsprechung des 3. Senats des BAG zur einschränkenden Auslegung des § 613a BGB bei Betriebsübergängen in der Insolvenz. Sie stellen zusätzlich klar, dass diese Rechtsprechung auch mit Unionsrecht im Einklang steht.

Dies bringt Rechtssicherheit für Arbeitgeber, die Betriebe von insolventen Unternehmen erwerben und in diesem Zuge gemäß § 613a BGB Arbeitnehmer und deren Betriebsrentenanwartschaften übernehmen. Für die übernommenen Arbeitnehmer verbleibt zumindest die Möglichkeit, die aus der BAG-Rechtsprechung resultierende wertmäßige Versorgungsdifferenz im Rahmen des Insolvenzverfahrens zur Insolvenztabelle anzumelden.

Autor

Rechtsanwalt, Associate Director Retirement, Legal

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