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Artikel | Benefits Perspectives

„bAV braucht Gestaltungsfreiraum“

24. September 2021

Garantie in der bAV – die ökonomische Seite: Versicherer senken die Garantieniveaus ab. Für Unternehmen und Mitarbeiter ergeben sich daraus neue Chancen.
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Zur Frage „Wie viel Garantie braucht die bAV?“ haben Fachexperten von Willis Towers Watson mit bAV-Praktikern aus Unternehmen und Vertretern der Versicherungswirtschaft gesprochen. Interview zur ökonomischen Seite des Garantiezinses mit Dr. Guntram Hepperle, Leiter Pension Brokerage von Willis Towers Watson, Marcus Thiel, Chief Investment Officer der AXA Konzern AG, und Marc Braun, Leiter Firmenkundengeschäft der Allianz Lebensversicherungs-AG.

Herr Dr. Hepperle, weshalb spielt das Thema Altersvorsorge in der öffentlichen Diskussion aktuell eine so große Rolle?

Guntram Hepperle, Leiter Pensions Brokerage von Willis Towers Watson: Weil die Altersvorsorge nach wie vor unerlässlich ist, die Vorsorgesysteme derzeit aber unter massivem wirtschaftlichen Druck stehen. Die gesetzliche Rente tendiert durch den demografischen Wandel mehr und mehr in Richtung Grundversorgung. Eine angemessene private Vorsorge wird für immer mehr Menschen schwieriger, weil ihnen bei stagnierenden Reallöhnen dafür einfach das Geld fehlt. Und in der bAV leiden gerade auch die gängigen versicherungsförmigen Durchführungswege massiv unter den niedrigen Zinsen. Das Zinstief ist für die Vorsorge insgesamt eine immense Herausforderung – und doch ist Vorsorge heute wichtiger denn je.

Steigen die Zinsen denn nicht wieder, wenn sich die Wirtschaft nach der Corona-Pandemie erholt?

Guntram Hepperle: Auf höhere Zinsen sollten wir nicht hoffen. Wir befinden uns in einer säkularen Niedrigzinsphase. Allein seit den 1980er-Jahren folgt im Kontext jeweiliger wirtschaftlicher Verwerfungen ein Zinsabschwung nach dem anderen. Zehnjährige Staatsanleihen zum Beispiel pendeln derzeit um die Nullzinslinie. Das wird auf längere Sicht so bleiben, wie etwa die EZB deutlich signalisiert hat.

Was bedeutet das für die Versicherungswirtschaft, vor allem für die versicherungsförmige bAV?

Guntram Hepperle: Die Versicherer können schlichtweg keine hundertprozentige Beitragsgarantie, also keinen vollen Beitragserhalt mehr gewähren, weil sie Garantien mit konservativen Anlagen absichern müssen, für die es eben so gut wie keine Zinsen mehr gibt. Gerade deshalb wird der Höchstrechnungszins nächstes Jahr auf 0,25 Prozent abgesenkt, d.h. eine höhere Garantie dürfen die Versicherer gar nicht mehr anbieten. Und unter dem Strich können sie damit im Rahmen der klassischen Konzepte ihre Verwaltungskosten nicht mehr zurückverdient werden.

Worin liegt die Lösung?

Guntram Hepperle: Die bAV braucht mehr Gestaltungsfreiräume. Dies fehlt völlig bei einer Beitragszusage mit Mindestleistung, also der BZML. Hier ist der Beitragserhalt gesetzlich festgeschrieben, weshalb die BZML mittlerweile als Auslaufmodell gilt, zumindest in ihrer bestehenden Form. Und es ist im aktuellen politischen Umfeld nicht damit zu rechnen, dass die Politik kurzfristig der BZML einen liberaleren rechtlich-regulatorischen Rahmen gibt.

Anders sieht es in der Beitragsorientierten Leistungszusage, der BOLZ, aus, weil für sie gesetzlich kein Garantieniveau vorgeschrieben ist. Die Versicherer reagieren bereits: Namhafte Versicherer werden in der bAV künftig keine volle Beitragsgarantie mehr anbieten, sondern nur noch Tarife mit abgesenkten Garantieniveaus. Die BZML wird gewissermaßen in Rente geschickt.

Herr Thiel, was die Kapitalanlage angeht, haben die Versicherer durch Solvency II ja bereits an Spielraum gewonnen.

Marcus Thiel, Chief Investment Officer der AXA Konzern AG: Wenn sie dafür eine entsprechende  Risikotragfähigkeit mitbringen. Die Axa hat ihre Anlagestrategie entsprechend gestaltet. So setzen wir zum Beispiel auch auf sogenannte „alternative“ Kapitalanlagen, die, eine angemessene Komplexitätsprämie verdienen: Bei der AXA geht jeder zweite Euro in der Neuanlage im Deckungsstock in diese Anlageklassen, zu denen zum Beispiel direkte Unternehmenskredite, private und gewerbliche Baufinanzierungen, Immobilien oder Infrastrukturprojekte gehören.

Wie geht die AXA mit ihren Anlagerisiken um?

Marcus Thiel: Zum einen ist das Portfolio der AXA breit aufgestellt, was eine entsprechende Diversifikation mit sich bringt. In der Anlageklasse der Zinsträger wie Staats-oder Unternehmenssanleihen investieren wir ferner im Durchschnitt nur in gute bzw. sehr gute Bonitäten. Zum anderen  ist die Bedeutung einer gezielten Aktiv-Passiv-Steuerung hervorzuheben : So hat AXA sich bereits frühzeitig und in erheblichem Maße gegen das Risiko fallender Zinsen und somit gegen das Reinvestitionsrisiko  abgesichert.

Herr Braun, was folgt daraus für die Produktgestaltung in der bAV?

Marc Braun, Leiter Firmenkundengeschäft der Allianz Lebensversicherungs-AG: Die Produkte brauchen eine zeitlose Eleganz. Zeitlosigkeit bezieht sich auf den viele Jahrzehnte währenden Anlagehorizont der Altersversorgung und damit auf die entsprechende dauerhafte Planungssicherheit für die Mitarbeiter.

Und Eleganz bedeutet zum Beispiel, Mitarbeitern individuelle Wahlmöglichkeiten zu bieten – ganz nach ihrer Risikobereitschaft und ihrer Lebensphase. Die bAV lebt von einer flexiblen und individuellen Gestaltung, mit der sich Unternehmen auf dem Personalmarkt attraktiv positionieren können.

Herr Dr. Hepperle, sind für Mitarbeiter Lösungen mit abgesenkten Garantieniveaus wirklich attraktiv? Wünschen sich Mitarbeiter nicht vor allem Sicherheit in der bAV?

Guntram Hepperle: Die öffentliche Diskussion wird häufig sehr unausgewogen geführt; sie beleuchtet vor allem die Nachteile der kapitalmarktorientierten bAV-Tarife und die Vorteile der herkömmlichen Garantiemodelle. Dann wird das Verlustrisiko gegen Sicherheit und Planbarkeit gestellt.

Hier gilt es zuallererst, dass vollständige Bild zu zeigen. Dazu gehören die Vorteile kapitalmarktorientierter bAV-Modelle, nämlich die Ertragschancen, die am Ende zu einer auskömmlichen Altersversorgung führen können. Und die Nachteile der herkömmlichen Garantiemodelle: Mini-Erträge, die nicht mehr wesentlich zur Alterssicherung beitragen können.

Aber das Verlustrisiko bleibt ja bestehen.

Guntram Hepperle: Wenn Menschen ihr Geld am Kapitalmarkt planlos in Produkte stecken, die sie nicht verstehen, ist das Verlustrisiko tatsächlich hoch. Aber dieses Risiko brauchen Mitarbeitende ja nicht einzugehen, wenn ihr Unternehmen für die bAV einen Versicherungstarif mit einem soliden Mittelweg aus ertragsorientierten und sicheren Anlagen ausgewählt hat.

Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern daher klar sagen: „Die herkömmlichen Garantiemodelle bringen euch heute kaum mehr ein als ein Sparstrumpf. Also nutzt die Chance, dass erfahrene Asset-Manager eure Mittel über einen langen Zeitraum klug investieren.“ Gerade die Jüngeren haben erkannt, dass dies in einer nahezu zinslosen Welt der einzige Weg ist, Geld mit nennenswerten Ertragschancen anzulegen.

Zudem werden die Versicherer in absehbarer Zeit einfach keine bAV-Versicherungstarife mit garantiertem vollständigen Beitragserhalt mehr anbieten. Wir alle sollten also bereits jetzt umdenken. Dazu gehört, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter schulen, damit sie mit Blick auf ihre Altersvorsorge vernünftige Entscheidungen treffen können. Vorsorge und Vernunft gehören zusammen.

Ausführlich wurden diese Thesen in einem Online-Event diskutiert (zur Aufzeichnung).

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Head of Pension Brokerage Germany, Retirement

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