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Artikel | Risk Perspectives

Achtung, Klimahaftung

WTW Risk Summit 2023

30. Juni 2023

Klimaklagen nehmen deutlich zu. Unternehmen sollten sich jetzt darauf vorbereiten.
ESG and Sustainability|Climate
N/A

Immer mehr Branchen im Fokus

Das Thema Klimahaftung rückt auf der Management-Agenda immer weiter nach oben, nicht zuletzt durch die weltweit zunehmenden Klimaklagen. Ein Rückblick: Mit dem Pariser Klimaabkommen⁠ von 2015 verpflichtet sich die Staatengemeinschaft, den durchschnittlichen weltweiten Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst auf 1,5 Grad Celsius, gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die nationalen Klimabeiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) bilden das Herzstück dieses Abkommens. Alle Vertragsstaaten legen in ihren nationalen Klimabeiträgen eigenständig fest, wie stark sie ihre Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2030 senken und wie sie sich an den Klimawandel⁠ anpassen wollen.

Für die Umsetzung der NDCs ist eine „Übersetzung“ der Klimaziele in konkrete Politikansätze und Gesetzgebung notwendig, was den Anstieg an Klimaschutzvorgaben in den letzten Jahren erklärt.

Weltweit gibt es heute über 3.500 Klimagesetze und -richtlinien. Diese werden zunehmend angewendet und so hat sich auch die Zahl der Klimaklagen seit dem Pariser Klimaabkommen verdoppelt – aktuell auf über 2.200 Rechtsverfahren weltweit. Während sich die ersten Klagen vor allem auf Treibhausgas-intensive Branchen bezogen, haben Klimaklagen inzwischen alle Branchen erreicht – etwa die Landwirtschaft, die Lebensmittelindustrie, die Textilbranche, die Finanzdienstleister, die Logistikbranche und die Plastik- und Kunststoffindustrie.

Die regionalen Hotspots der Klimaklagen liegen dabei in den USA, in Australien, der EU und dem United Kingdom. Aber die Zahl der Klimaklagen in Lateinamerika, der Karibik, Asien und Afrika nimmt ebenfalls stetig zu.

Vielfältige Gründe für zunehmende Klimaklagen

Welche Faktoren tragen noch zu einem Anstieg der Klimaklagen bei? Dazu zählen die physischen Folgen des Klimawandels, seien es die akuten Folgen wie Starkregen, Stürme oder extreme Hitze oder die chronischen Folgen wie der Anstieg der Meeresspiegel und die Verödung weiter Landstriche. Diese Faktoren führen zu Schäden und Verlusten, die Kläger vor Gericht geltend machen möchten.

Zudem sind Transitions- oder Übergangsrisiken auf dem Weg hin zu einer dekarbonisierten Wirtschaft unter anderem mit politischen, rechtlichen und technologischen Veränderungen verbunden. Wenn diese Herausforderungen nicht entsprechend gemeistert werden, kann dies die Tür für Rechtsansprüche öffnen. 

Auch das öffentliche Bewusstsein für Klimaschutzbelange nimmt zu – und dafür, diese Belange vor Gericht geltend zu machen. Gerichte werden zunehmend auch als Foren verstanden, um den Klimaschutz voranzutreiben.

Einen weiteren Anlass für Klimaklagen bieten auch die zunehmenden Klimaschutzverpflichtungen – internationale, nationale oder auch sektorale. Unternehmen müssen hier mit zunehmenden behördlichen Überprüfungen rechnen, mit Sanktionen und Bußgeldern bis hin zu Rechtsstreitigkeiten.

Die Bereitstellung von Finanzmitteln, vor allem für strategische Klimaklagen, hat ebenfalls erheblich zugenommen. Die Gelder kommen zum Beispiel von großen Fonds, NGO’s und philanthropischen Organisationen, Crowdfunding und von Prominenten, die sich für den Klimaschutz engagieren.

Ein wichtiger Faktor, der zu mehr Klimaklagen führen könnte, sind auch die immer umfassenderen Sorgfaltsstandards. Dazu gehört beispielsweise die Pflicht von Regierungen sowie von Unternehmen und deren Organen, Schäden und Verluste so weit wie möglich zu vermeiden. Das Verletzen von Sorgfaltspflichten birgt Haftungsrisiken.

Spannend in diesem Zusammenhang sind auch die Fortschritte der Klimaattributionsforschung, in deren Rahmen untersucht wird, inwieweit der menschliche Einfluss bestimmte Klima- und Wetterereignisse wahrscheinlicher oder schwerwiegender gemacht hat. Juristen und Klimawissenschaftler testen inzwischen, wie die Attributionswissenschaft in Rechtsstreitigkeiten weiter integriert werden kann.

Beispiele möglicher Ansprüche und Forderungen

Zu den Anspruchsarten gehören:

  • das Versäumnis, Treibhausgase zu reduzieren,
  • das Versäumnis, sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen,
  • das Versäumnis, klimabedingte (finanzielle) Risiken offenzulegen,
  • das Versäumnis, Investitionsstrategien anzupassen,
  • der Verstoß gegen oder Nichteinhaltung gesetzlicher Vorschriften,
  • das Versäumnis, professionelle Beratung und Dienstleistungen anzupassen,
  • eine mangelhafte Beachtung von Klimarisiken im Rahmen der Vermögensverwaltung,
  • Menschen- und grundrechtsgestützte Forderungen.

Besonders kritisch ist dabei auch das sogenannte Greenwashing, etwa durch eine irreführende oder unbelegbare Kommunikation von „grünen” Unternehmensaktivitäten, um die positive Außenwirkung des Unternehmens zu steigern. Und obwohl die Anzahl von Klimaschutzvorgaben zunimmt, stellen diese nicht die einzige Grundlage für Rechtsstreitigkeiten dar, da auch anderes bestehendes Recht zugunsten des Klimaschutzes interpretiert werden kann, wodurch das Haftungsrisiko zunimmt. 

Unterschätzte Auswirkungen

Die Auswirkungen von Klimaklagen auf Unternehmen werden in ihrer Vielfalt meist unterschätzt. Wer mit einer Klage konfrontiert ist, erleidet häufig einen Reputationsverlust; und um den guten Ruf wieder herzustellen, braucht es Zeit und Geld. Kostenintensiv sind meist auch Haftungsansprüche für entstandene Schäden und Verluste.

Umsatzeinbußen können sich ergeben, wenn sich Geschäftspartner von einem beklagten Unternehmen zurückziehen. Auch die Bindung und Einstellung von Talenten kann sich in einer Rechsstreitsituation als schwierig erweisen. Eine Klimaklage kann sich auch negativ auf das Anwerben von Investitionen und auf die Aufrechterhaltung des Vertrauens der Aktionäre auswirken. 

Für ein holistisches Risikomanagement

Was können Unternehmen tun, um ihre Klimahaftungsrisiken zu reduzieren? Rechtliche oder Haftungsrisiken können aus Versäumnissen bei der Bewältigung von Klimarisken entstehen. Deshalb braucht es einen holistischen Ansatz, also Klimarisikoanalysen, um die potenziellen Auswirkungen besser zu verstehen und Risikominderungsstrategien zu entwickeln. Eine Klimarisikobewertung ist auch grundlegend für die Priorisierung von Klimaschutzmaßnahmen und -investitionen. Viele unserer Kunden unternehmen bereits große Anstrengungen, um die Herausforderung des Klimawandels anzugehen, aber solche Maßnahmen müssen stets auch den jeweils relevanten rechtlichen Kontext berücksichtigen, um die Haftungsrisiken zu verringern.

Verbunden mit einer Klimarisikobewertung sollten auch die Klimahaftungsrisken analysiert werden. Dazu gehört:

  • die Analyse aktueller und potenzieller zukünftiger Klimahaftungsrisiken,
  • die Berücksichtigung von regulatorischen Anforderungen und die entsprechende Berichterstattung,
  • die Vertragsprüfung entlang von Liefer- und Wertschöpfungsketten,
  • das Identifizieren von Deckungslücken
  • und die Befassung mit geeigneten Risikotransfer- bzw. Versicherungslösungen.

Am Ball bleiben

Das Thema Klimahaftung ist komplex, Unternehmen sollten sich jetzt damit befassen. Der Blick zurück zeigt uns nicht das, was wir in Zukunft sehen werden. Wir können erwarten, dass angesichts der Klimakrise Juristen, Forscher und Klimaaktivisten nach neuen Wegen suchen werden, um den Klimaschutz auch vor Gericht voranzubringen. Die Landschaft der Klimaklagen wird sich weiterentwickeln. Es wird neue Prozessparteien und -konstellationen geben, neue Rechtsvorschriften und Sorgfaltspflichten, die vor Gericht diskutiert werden, und es wird neue Gerichtsorte geben, wo diese Fälle vorgebracht werden.

Für Unternehmen heißt es also: jetzt aktiv werden und weiter am Ball bleiben. Dazu braucht es eine umfassende Expertise in Sachen Klimarisikoanalyse und für die Überprüfung potentieller Haftungsrisiken und versicherungstechnischer Deckungslücken. Dies bieten die Mitarbeitenden des Climate and Resilience Hub von WTW. 

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