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Artikel

Die bAV gemeinsam fit für die Zukunft machen

bAV-Konferenz 2021 - Einführungsvortrag
von Dr. Heinke Conrads

6. Dezember 2021

Die betriebliche Altersversorgung (bAV) hat noch viel Potenzial. Worauf es dabei ankommt, erläutert Dr. Heinke Conrads, Leiterin Retirement Deutschland und Österreich bei Willis Towers Watson.
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Frau Dr. Conrads, Sie sehen die bAV in einer Zeitenwende. Was meinen Sie damit?

Heinke Conrads: Eine Zeitenwende ist eine historische Phase, in der sich wesentliche Dinge grundlegend ändern. Anfangs stehen oft Ereignisse, deren bahnbrechende Tragweite sich erst im Rückblick ermessen lässt. So kam 2007, im Jahr unserer ersten bAV-Konferenz, das iPhone, ein Sinnbild der Digitalisierung, auf den Markt. Ein Jahr später hat die Lehman-Krise die Weltwirtschaft erschüttert und in der Folge die Niedrigzinsphase eingeläutet.

Beides, die anhaltend niedrigen Zinsen und die Digitalisierung, prägen jetzt, im Jahr unserer 15. Konferenz, die bAV ganz entscheidend. Wir können hier im Rückblick durchaus von Ereignissen sprechen, die eine Zeitenwende einläuteten. Blicken wir auf die heutige Zeit, so kommen mit Themen wie dem Strukturwandel in der Wirtschaft, Generationengerechtigkeit und ESG insbesondere mit Blick auf mögliche politische Weichenstellungen nach der jüngsten Bundestagswahl wiederum Elemente ins Spiel, die das Potenzial haben, die bAV-Welt der Zukunft maßgeblich zu beeinflussen.

Wie sieht die aktuelle Lage aus?

Heinke Conrads: Die Verbreitung der bAV ist trotz des Betriebsrentenstärkungsgesetzes von 2018 noch nicht wirklich vorangeschritten. Erst jetzt stehen erste Sozialpartnermodelle in den Startlöchern. Durch einen vollständigen Verzicht auf Garantien soll bei diesen Modellen die Chance auf eine renditeträchtigere Kapitalanlage geschaffen werden, die für eine auskömmliche Altersvorsorge langfristig auch unbedingt erforderlich ist. 

In Bezug auf die herkömmlichen Garantien reagiert der Markt allerdings bereits unabhängig von Sozialpartnermodellen: Die Versicherungswirtschaft verabschiedet sich auf breiter Front von der vollen Beitragsgarantie, um bessere Anlagemöglichkeiten zu gewinnen und damit die Ertragschancen für die Versorgungsberechtigten zu verbessern. Die bAV kann etwa mit beitragsorientierten Leistungszusagen diesen Weg mitgehen und Mitarbeitern höhere Renditechancen bieten. Diese Beteiligung am Produktivvermögen ist in Zukunft entscheidend für eine nachhaltige Altersvorsorge.

Der steuerliche Rechnungszins ist aber noch nicht in der aktuellen Zeit angekommen.

Heinke Conrads: Richtig, der liegt seit vielen Jahren bei realitätsfernen sechs Prozent. Hellhörig wurde die bAV-Community zuletzt bei einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Es hat unlängst einen Zinssatz von sechs Prozent für Steuernachzahlungen für verfassungswidrig erklärt. Das lässt hoffen, dass sich hier auch zugunsten der bAV endlich etwas grundsätzlich bewegt.

Wo geht es bereits jetzt nach vorn?

Heinke Conrads: Etwa beim Thema Digitalisierung. So wurde Anfang 2021 gesetzlich festgeschrieben, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern in bestimmten Durchführungswegen eine digitale Übersicht über deren Rentenansprüche bieten müssen. Zudem orientierten sich immer mehr Unternehmen an den ESG-Kriterien bei der Gestaltung ihrer bAV. Hier geht es etwa um Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage, um soziale Verantwortung durch die Bereitstellung einer guten bAV, bei der auch die Generationengerechtigkeit mitgedacht wird, aber auch generell um die bAV im Rahmen einer guten Unternehmensführung.

Und was erhoffen Sie sich von der Zukunft?

Heinke Conrads: Hier sehen wir vor allem die Politik in der Pflicht. Fast alle Parteien haben sich die Stärkung der Altersvorsorge auf die Fahnen geschrieben. Dazu braucht es in der bAV die Beseitigung der altbekannten Hürden, einen stabilen rechtlichen Rahmen, auf den sich die Unternehmen verlassen können, und ausreichend Raum für unternehmerische Freiheit. Letztere ist deshalb so wichtig, da sich Unternehmen mit einem guten bAV-Angebot einen klaren Wettbewerbsvorteil am Arbeitsmarkt verschaffen können. 

Viele Politiker spielen jedoch mit dem Gedanken, die unternehmerische Freiheit durch zentrale Vorgaben einzuschränken.

Heinke Conrads: Hier sollten sie umdenken. Denn die besten Lösungen, um die bAV weiter zu verbreiten, entstehen in einem freien Wettbewerb. Das sehen auch die Unternehmen so: Nur acht Prozent der Teilnehmer unserer Konferenz setzen etwa auf neue Staatsfondsmodelle als Mittel zur Verbreitung der bAV. Sehr viel wichtiger ist dafür fast der Hälfte der Befragten, dass die neue Bundesregierung die Komplexität der bAV reduziert.

Wo könnte sie dabei ansetzen?

Heinke Conrads: Zum Beispiel an der Öffnung von Opting-out-Modellen auf betrieblicher Ebene, was auch von vielen Konferenzteilnehmern favorisiert wird. Denn solche Modelle machen die Lage für viele Mitarbeiter wesentlich einfacher: Sie profitieren, wenn sie nicht widersprechen, automatisch von der Vorsorgelösung ihres Arbeitgebers – und müssen sich um nichts Weiteres kümmern. Bei den Mitarbeitern kommen diese Modelle auch sehr gut an, wie Studien belegen.

Komplexität kann man auch reduzieren, wenn man nicht immer neue Konzepte ein-führt, sondern die bestehenden Möglichkeiten intelligent nutzt. Zudem sollte die neue Regierung in puncto des steuerlichen und handelsrechtlichen Rechnungszinses die Hausaufgaben machen und auch endlich die Doppelverbeitragung von Betriebsrenten abschaffen. Es gibt also viel zu tun – ob es um die Themen Digitalisierung, Generationengerechtigkeit, Rechtsrahmen oder Komplexitätsreduktion geht. Gemeinsam können wir jetzt dazu beitragen, dass die Zeitenwende in eine gute Zukunft für die bAV führt.

Vielen Dank! 

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